Sonntag, 11. November 2012

Many Arms - Many Arms (Tzadik)

Punk-Jazz (oder Jazz-Punk, je nach Gewichtung) ist ein loser Sammelbegriff für alle Kreuzungsversuche der intensiveren Spielarten von Rock und Jazz, und als Idee lässt er sich zumindest bis Captain Beefheart und Ornette Coleman zurückverfolgen. Über vier Jahrzehnte sind also ins Land gezogen, seit die Affinitäten zwischen (Proto-)Punk und (Free-)Jazz erstmals aufgedeckt und fruchtbar gemacht wurden; Seither ist ein richtiger Stammbaum an Künstlern herangewachsen, die sich an dieser Fusion versucht haben: Sonny Sharrock, als einer der Pioniere, kommt hier in den Sinn; Ebenso die Blue Humans aus dem No-Wave Umfeld. Etwas später dann die experimentierfreudigen Punkbands des SST-Labels, allen voran Black Flag und Saccharine Trust; John Zorn natürlich, und Last Exit; In jüngerer Vergangenheit und bis in die Gegenwart hinein insbesondere der ruppige Jazzrock von Scorch Trio.Many Arms aus Philadelphia machen kein Hehl daraus, dass sie Teil dieser Tradition sein möchten; Wenige Takte ihres neuen, selbstbetitelten Albums, und wir merken, dass wir es hier mit einem virtuos-gitarrenlastigen Zweig jenes Stammbaums zu tun haben. Beyond Territories setzt mit einem Ostinato ein: Gitarre und Drums laufen im Kreis, sie scheinen im Bann eines imaginären Mittelpunkts zu stehen. Gitarrist Nick Millevoi spielt wie ein junger Gott – wie John McLaughlin zu Birds of Fire-Zeiten. Doch die Kreisbewegung wird schneller und schneller, als versuchten die Musiker verzweifelt, der Anziehungskraft dieses Zentrums zu entkommen – und schließlich, als hätten sie die Fluchtgeschwindigkeit erreicht, brechen sie aus, und die Noten schießen in irrwitziger Geschwindigkeit durch den Raum. Hier sprühen die Funken, wie von der Reibungswärme erzeugt, und wir fühlen uns an Sonny Sharrock und an das Acid Metal-Duo Orthrelm erinnert. In Dealing with the Laws of Physics on Planet Earth schlägt dann andere Töne an: Gedehnte Akkorde, die drohend im Äther hängen wie Rauchwolken nach geschlagener Schlacht – ein passendes Bild nach dem Vorausgegangenen. Doch das Stück beschleunigt gegen Ende seinen Pulsschlag, und macht die Drohung in schneidenden Dissonanzen wahr. Rising Artefacts in a Five-Point Field legt die Zurückhaltung wieder ab: Dieses Stück ist wie eine wilde Verfolgungsjagd, glühende Bremsen und qualmende Reifen inklusive; Musikalisch gesprochen, Skronk-Jazz in der Tradition von Sonny Sharrock und Scorch Trio.
Dieses Album ist eine technische Meisterleistung – kein Wunder, dass sich Bilder von Raketenstarts aufdrängen. Dabei aber ist Many Arms keine Zurschaustellung streberhaften Virtuosentums, denn hier steht alles im Dienste der Intensität – der Punk in Punk-Jazz. Was die Band überdies von vergleichbaren Unternehmungen abhebt, ist der relativ strenge kompositorische Rahmen, der den Stücken bei aller Wildheit Form und Richtung gibt.

www.tzadik.com

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